Das Ende des Klassenkampfes

Das Ende des Klassenkampfes

Unter massgebender Anstiftung von Bundesarbeits­ministerin Andrea Nahles kappte der Deutsche Bundestag kürzlich einen der verstaubtesten und überflüssigsten Zöpfe der Arbeiterklasse, den Generationen von Gewerkschaftern drohend mit sich herumschleppten, ohne jemals zu hinterfragen, was der ganze Quatsch eigentlich soll(te)…

Die Rede ist von der gesetzlich dekretierten Abschaffung des Streikrechts durch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands am 22. Mai 2015. Gern nehmen wir diese gelungene Aktion zum Anlass, einen kleinen Rückblick auf die Geschichte des Streiks als buntes Freizeitprogramm für Bolschewisten und ähnliche Volksschädlinge zu halten.

Die Älteren unter unserer Leserschaft erinnern sich noch mit Schmunzeln an die prachtvolle «Nebelspalter»-Sonderausgabe vom Mai 1886, in welcher wir nicht nur die Ausschweif­ungen der Landjugend des Kantons Appenzell Innerrhoden unter dem Maibaum aufs Korn nahmen, sondern auch die Ereignisse des 1. Mai besagten Jahres auf dem Chicagoer Haymarket gebührend durch den Kakao zogen.

Damals hatten ein paar durchge­knallte Anarchisten allen Ernstes dafür demonstriert, dass aus ihrem 12-Stunden-Arbeitstag ein 8-Stunden-Erholungstag werden sollte. Dieses Unterfangen war schon mathematisch gesehen ein Hirngespinst, denn 12 Stunden bleiben 12 Stunden; es sei denn, man kürzt 12/8 Stunden durch 4 Stunden; dann ergibt das 3/2; und die Stunden kürzen sich komplett weg. Was dies für den Wochentag bedeutet, dem dann weder Stunden noch Arbeit verbleiben, will uns selbst heute nach all den Jahren nicht recht klar werden.

Bombenstimmung

Nachdem Anarchisten und Arbeitgeber arithmetisch nicht zueinander gefunden hatten, fasste sich jemand am 4. Mai ein Herz und schmiss in prägnanter Zusammenfassung der Diskussionen eine Bombe in die Menge auf dem Haymarket. Warum dies nicht bereits am 1. Mai erfolgt war, ist heute nicht mehr nachvollziehbar; vielleicht war der Zeitzünder falsch eingestellt oder die Lunte nass geworden.

Jedenfalls fand es die Polizei, deren erschreckende Humorlosigkeit international berüchtigt ist, gar nicht amüsant, dass die Schlichtungsgespräche mittels Sprengkörpern fortgesetzt wurden, und eröffnete ihrerseits das Feuer auf die Hooligans vom Schwarzen Block Haymarket. Hüben und drüben gab es einige Tote – einerseits durch die Bombe, andererseits durch die Projektile der Cops. Wer nun eigentlich die Bombe geworfen hatte, wurde nie so richtig aufgeklärt.

Mit Lappalien wie umständlicher Beweisführung mochte die US-Klassenjustiz auch gar nicht ihre Zeit verschwenden, sondern statuierte ein Exempel und liess hurtig ein paar der Rädelsführer des Protests aufknüpfen. Ob diese solcherart vor ihrer Zeit auf Staatskosten Entleibten tatsächlich für die Detonation verantwortlich waren, wurde als nebensächlich erachtet, denn immerhin hätten sie es ja sein können. Fazit: Man muss halt schon darauf achten, mit wem man wann wo wie in der Gegend herumsteht.

Nicht lafern – liefern!

Damals hielt man sich auch nicht unnötig mit kuriosen Debatten über Menschenrechte und ähnlichen Nonsens auf, sondern schritt lieber energisch zur Tat. Davon konnte neulich so mancher der während des Lokomotivführerstreiks in Deutschland gestrandeten Fahrgäste nur träumen, indem er sich in seiner abgrundtiefen Verzweiflung der tröstenden Fata Morgana hingab, Claus Weselsky, Häuptling der fehlgeleiteten Maschinisten, an einem Laternenpfahl im Frühjahrswind baumeln zu sehen.

Zurück zu Andrea Nahles und der Berliner Rasselbande: In einer parlamentarischen Sternstunde sondergleichen hat es der Deutsche Bundestag dann endlich gerafft, dass in unseren fortschrittlichen Zeiten Streiks einen haarsträubenden Anachronismus darstellen. Und die Aufteilung in Kapitaleigner und Lohndiener ist etwas vom Realitätsfernsten, was sich derzeit vorstellen lässt. Wenn man von Kommandogewalt und Vermögen einmal absieht. Aber Macht und Geld sind ja auch nicht alles.

Nach den gerade beschriebenen «Haymarket Riots» vom Mai 1986 dauerte es dann fast ein Jahrhundert, bis in Europa endlich begriffen wurde, wie mit divergierenden Auffassungen über Arbeitsbedingungen effektvoll umzugehen ist. Hier war Englands M. Thatcher federführend, die mit den Arbeitern instruktiv Tacheles redete: «Streiks und andere Fisimatenten können auch mal derbe in die Schneidezähne gehen, Freunde!»

Von Amerika lernen

Wenn wir nun unseren Blick wie immer vorurteilsfrei in die USA richten, dann können wir klar erkennen, wo die Zukunft der Arbeiterbewegung liegt – damals auf dem Heumarkt, heute im Silicon Valley. Dort beschäftigen die Topfirmen «Chief Happiness Officers», freudestrahlend rauscht man von einem Stockwerk ins nächste auf Jahrmarktrutschen, am Arbeitsplatz lebt man in glückseligen Grossfamilien.

Wer dies für mephistophelische Tricks hält, um die Angestellten klammheimlich unter das Joch des «Digitalen Prekariats» zu locken, der soll doch streiken. Würde das Streikrecht nicht gerade abgeschafft. Welch ein Zufall.

Jan Peters

Kommentare sind geschlossen.