Auf Messers Schneide

Auf Messers Schneide

Verehrtes Publikum

Wer kennt sie nicht, die erschütternde Geschichte von Romeo und Julia? Die in einer solchen Katastrophe endete, dass es des Genies eines Shakespeare bedurfte, um diese Tragödie angemessen darzustellen: «Willst du schon gehen? Der Tag ist ja noch fern. Es war die Nachtigall und nicht die Lerche, die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang; sie singt des Nachts auf dem Granatbaum dort. Glaub, Lieber, mir, es war die Nachtigall.»

Das Schicksal wollte es, dass ich nicht in Verona, sondern in Niedersachsen zur Welt kam, wo das Erstellen von Liebesgedichten nicht zur Hauptbeschäftigung der Bevölkerung zählt. Dafür gibt es in der Region vorzügliche Würste. Und dazu eine persönliche Geschichte, die bezüglich ihres dramatischen Tiefgangs William Shakespeare in nichts nachsteht:

Es war Weihnachten 19..; erstmals verbrachte Frau P., die seinerzeit noch Frl. C. hiess, das Christfest mit uns in meiner Geburtsstadt. Diese Stadt musste nach dem Krieg zahlreiche Flüchtlinge aus dem deutschen Osten aufnehmen. Unter anderem auch einen Metzger aus Schlesien. Meine Mutter hatte Vorfahren aus der Gegend und dachte, Wurstwaren von dort könnten bei ihr Heimatgefühle wecken. Und Weihnachten wäre ein guter Anlass, schlesische Bratwürste auf den Tisch zu bringen. Um diesen seltsamen Würsten, die schneeweiss waren, ein festliches Gepräge zu geben, wurden sie in einer Malzbier-/Mehltunke bereitet, von der mein Vater annahm (wie er mir später im Vertrauen erklärte), dass es sich eher um Spachtelmasse zur Ausbesserung von Karosserieschäden als um eine Sauce handeln müsste.

«Stille Nacht» erklang, die Kerzen brannten am Weihnachtsbaum – die besagten Bratwürste wurden serviert. Still verzehrten wir die Würste, packten unsere Geschenke aus und gingen früh zu Bett.

Zwei Tage später auf der Autobahn bat mich Frl. C., kurz auf einem Parkplatz anzuhalten. Sie wandte sich mir zu: «Jetzt müssen wir beiden mal Tacheles reden: entweder diese elenden Würste – oder ich!» 

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