Buch bestellenDie Wetterau Tapes

in der Schreibstube des Samuel Brüllhenne
Book on Demand. 2019.
ISBN 9783738647426

Vorwort des Herausgebers

Lieber Leser,

was Ihnen hier vorliegt, ist die einzige vollständige, von den Beteiligten kritisch durchgesehene und durch beide autorisierte Fassung eines ungewöhnlichen Interviews, das im Jahre 2019 geführt wurde: DR. LEANDER KARL V. WOLKENSTEIN – in Fachkreisen LKW genannt –, Feuilletonchef des in Langgöns bei Gieβen (D) episodisch erscheinenden «Hessischen Landboten», interviewt den Schweizer Autor JAN PETERS. Ersterer ist einerseits fiktiv, andererseits aber dennoch real existent.

Die meisten Deutschen denken bei Schweizer Literatur, wenn ihnen nicht gleich Dürrenmatt oder Frisch einfallen, an Heidi, den Kinderroman von Johanna Spyri aus dem Jahre 1880. Und wie man spätestens seit der ZDF-Serie jauchzt: Heidis Welt sind die Berge!

Doch in der Schweiz gibt es nicht nur Berge, sondern auch den Wahlschweizer Autor jp – wie wir ihn nennen dürfen. Er hat seinen Wohnsitz in Kaiseraugst im Kanton Aargau, und da beträgt die Höhe laut eigener Angabe nur 272 m über NN.

Zum Interview trafen wir uns in Hessen (D), und zwar in der Wetterau, die ihre Reize folgendermassen anpreist: «Die abwechslungsreichen Naturlandschaften der Wetterau erstrecken sich sanft eingebettet zwischen Taunus und Vogelsberg, in direkter Nachbarschaft zur Mainmetropole Frankfurt. Die Wetterau ist eine wahre Schatztruhe für Entdecker.»

Dort also sollte das Interview stattfinden. Ich war sehr gespannt auf dieses Gespräch, weil ich bei der Vorbereitung einen zwiespältigen Eindruck aus jps mittlerweile sieben Büchern gewonnen hatte:

  • Einerseits seine ernsthaften autobiographischen Darstellungen.
  • Andererseits fantastische, geradezu geniale Wortspielereien, die man noch nie sonst gelesen hatte und von denen man nie wusste, wie ernst oder ironisch sie gemeint waren.

Und alles durchsetzt mit historischen und politischen Anspielungen, deren man sich erst einmal selbst vergewissern musste, inwieweit sie zutrafen.

Diese Verbindung von historischem Wissen und offenkundiger Sprachgewalt beeindruckt schon als solche, wird aber immer wieder relativiert bis karikiert durch Widersprüche, die dem normalen Leser, der solche Gedankenakrobatik wohl gelegentlich mit grenzwertig betiteln würde, einiges an Durchhaltevermögen abverlangt. Darauf sollten Sie sich bei der folgenden Lektüre einstellen, denn ansonsten würden Sie verzweifeln. Das möchte ich aber auf keinen Fall. Ich möchte, dass Sie durchhalten und hinterher sagen: War mir ein Vergnügen, meine Herren!

 

Mit diesen Wünschen verbleibe ich als der Herausgeber der Wetterau Tapes

 

Ihr LKW

 

 

TEXTAUSZUG

«Ich beschränke mich bewusst auf Nischenmärkte. Das Massenpublikum, das sich bevorzugt bei YouTube, Facebook & Co. tummelt, ist nicht meine Zielgruppe. Krimis schreibe ich auch keine – ich lebe literarisch am liebsten in der skurrilen Ambiguität der von mir selbst geschaffenen Zwischenwelten, in denen ich mit dem grössten Vergnügen ambuliere; wenn es sein muss, dann eben auch allein. Und ich bin, was das Handwerkliche betrifft, unablässig am Werke, die Syntax der deutschen Sprache bis an ihre Grenzen auszudehnen», sagt Jan Peters.

«Und dann gibt’s natürlich noch all dem blühenden anarchistischen ‹Un›-Sinn, für den ich eine ausgeprägte Ader besitze und der an allen Ecken und Enden meiner Texte merklich durchschimmert. Im Grunde verbirgt sich dahinter neben der offensichtlichen Lust an jedweder Art von Possenreisserei eine individuelle Spielart von Notwehr – das seit meiner Kindheit und Jugend vorhandene Bestreben, die mir von den Erwachsenen in blutigstem Ernst angetragene Pflicht zur Pflichterfüllung zu unterminieren und/oder zu verweigern. Dies viel lieber mit Winkelzügen als in offenen Feldschlachten.»

Ein Beispiel dafür ist das von jp während seiner Zeit von Februar 1981 bis Juli 1983 im innovationsfördernden schleswig-holsteinischen Schuldienst entwickelte elaborierte System der «Schwarzen Didaktik», demgemäss der Autor der «Wetterau Tapes» zum Erstaunen und zur Freude der Schülerschaft im Land der Leuchttürme und Deiche unterrichtete. Theorie und Praxis dieses bemerkenswerten Lehrverfahrens, das bei der Schulaufsicht zu grimmiger Verbitterung führte und aufgrund dessen jp schliesslich die Weihen des Höheren Lehramtes an Gymnasien auf Lebenszeit verwehrt wurden, wird der Öffentlichkeit erstmals in den «Wetterau Tapes» methodisch-didaktisch feindifferenziert vorgestellt.

DIE WETTERAU TAPES
in der Schreibstube des Samuel Brüllhenne

DER LESER HAT DAS WORT

CAVE: In einer Rubrik wie dieser ist es weitverbreitete Praxis, dem gutgläubigen Publikum Fake News in geballter Form unterzujubeln. Im Gegensatz zu solchen dubiosen Usancen finden Sie hier kein Konvolut von Auftrags- oder Gefälligkeitsrezensionen, sondern ausschliesslich authentische Originalbeiträge der Leserschaft, die weder vom Herausgeber noch vom Autor der «Wetterau Tapes» in Auftrag gegeben, bezahlt oder auf andere Weise verfälscht, getürkt, zensiert oder sonstwie manipuliert wurden. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes erscheinen alle Artikel unter Pseudonymen. Sie sind herzlich eingeladen, Ihre Beiträge an j.peters@bluewin.ch zu senden. Rassistische, sexistische und/oder rechtspopulistische, beleidigende, diffamierende oder andere Menschen und/oder Minderheiten herabsetzende Beiträge werden nicht veröffentlicht.

Kreatives Chaos

PETERS!!! Dein neues Buch ist abwechslungsreiche, wilde und wirre, flatterleichte und schwere Kost. Mehr und schnellere Szenenwechsel als in einem Tarantino-Streifen. Aber, verdammt nochmal, der van Gogh soll nicht gemalt haben können? Mindestens so gut wie der Flächentapezierer Rothko! Und was zum Teufel soll der «Vormärz» sein?

posted on Aug 21st, 2019 by THE NAVIGATOR

Antwort jp: Als «Vormärz» wird die Zeit zwischen 1815 und der Märzrevolution 1848 bezeichnet. Viele Bürger waren von der Restauration im «Deutschen Bund» enttäuscht. Unter den Studenten breitete sich Unruhe aus, was zur Gründung von Burschenschaften führte (damals notabene progressive[!], demokratische Vereinigungen; siehe auch: «Wartburgfest 1817»), deren Hauptforderung die Gründung eines deutschen Nationalstaates mit Freiheits- und Grundrechten war. Die Fürsten reagierten auf diese Bewegung mit Zensur, Bespitzelung und Repression.

Anarchistischer Balanceakt

jp ist mit seinem neuesten Werk eine bemerkenswerte Mischung aus ernsthafter Lebensbeschreibung, kritischer Gesellschaftsanalyse und Commedia dell’Arte gelungen, die schwer zu kopieren sein dürfte. Eine gekonnte Verbindung der Frankfurter Schule mit der «Neuen» Frankfurter Schule, wie man sie so noch nicht gelesen hat. Gegen die Erkenntnis, dass passagenweise Flywheel, Shyster & Flywheel aus der «Marx Brothers Radio Show» und Jochen aus der «Pardon-WimS» herzlich grinsend grüssen lassen, dürfte der Schöpfer der «Wetterau Tapes» wahrscheinlich keinerlei Einwände erheben. jps diesbezügliche Kreationen in den «Tapes» halten bemerkenswert leicht & locker mit diesen Champions der Slapstickliga mit: Chapeau!

Arnold Hau, Frankfurt-Bockenheim, 22. August 2019

 

Des Lebens ganze Fülle

Grundsätzlich ist meinem Vorredner Arnold Hau zuzustimmen, wenn er die Slapstick-Komponente in den «Wetterau Tapes» gebührend hervorhebt. Aber dies ist natürlich nur eine von vielen Facetten in jps neuestem Werk. Immerhin gibt der Autor in seinem Buch einen Abriss seines Lebens, das zumindest in der Holsteiner Periode alles andere als eine Komödie war. Wenn überhaupt, dann von Ausmassen der «Göttlichen Komödie», die zu weiten Teilen bekanntlich aus einer Reise durch die Hölle besteht. Die Bandbreite, die Jan Petersʼ spezielle Art des Schreibens zwischen Höhen und Abgründen zu umfassen vermag, ist bemerkenswert – sehr zu empfehlen!

Dante Alighieri, Florenz, 24. August 2019

 

jp’s Coming-of-age Novels

Vergleicht man die Darstellungen der schulischen Erfahrungen des Autors aus seinem Erstling «Tief im Norden» mit denen in den 2019 vorgelegten «Tapes», so wird eine deutliche Entwicklung erkennbar. Sieht man den Autor als Protagonisten seiner eigenen Schriften in einem Entwicklungsroman befindlich, so verläuft seine bisherige Reise von «Michael Kohlhaas» – oder wie jp gelegentlich selbst bemerkt hat: Émile Zolas «J’accuse»-Bearbeitung der Dreyfus-Affäre – zu Laurel & Hardys grandios destruktiven Knastbrüdern in «Hinter Schloss und Riegel» mit ihrem zwerchfellerschütternden Frontalangriff auf jegliche Art staatlicher Resozialisierungsbemühungen bzw. die Staatsgewalt in toto. Hier hat sich jemand über die Jahre eine Last von der Seele geschrieben, dass es eine Freude ist, dies zu verfolgen! Das bahnbrechende Konzept der Schwarzen Didaktik, das Peters in den «Wetterau Tapes» erstmals öffentlich vorstellt, sollten sich Kenner der unentrinnbaren Ernsthaftigkeit deutsch-gymnasialer Veranstaltungen auf der Zunge zergehen lassen. ReferendarInnen ist allerdings dringend davon abzuraten, dieses eher unübliche Unterrichtsverfahren als Blaupause für Examenslehrproben zu verwenden – das könnte böse ins Auge gehen!

H. S., Fachleiter Gesellschaftswissenschaften, Bad Homburg, 24. August 2019

 

Who is who?

In einer Sitzung der Wissenschaftlichen Gesellschaft der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main fragte im Juli 1970 der Anglistik-Professor Helmut Viebrock sein perplexes Publikum: «Wer ist Demogorgon?» Er versuchte damit eine Deutung von Percy B. Shelleys bekanntem und geschätztem Essay «Prometheus unbound». Einer der Zuhörer wandte sich seinem Nachbarn zu: «Sind Sie Demogorgon?» – «Nein, Krause mein Name. Ich bin Hausmeister und wollte hier eigentlich die Fensterdichtungen kontrollieren.» Während der Lektüre der «Wetterau Tapes» stehen Leser plötzlich vor der Frage: «Wer ist Gronau?» Oberflächlich gesehen sitzt er in seiner Funktion als Revierförster in der Wetterau auf Wildschweine an und bölkt beim Anblick einer Rauchsäule, die über der Autobahntank- und Rastanlage Wetterau aufsteigt, aus den Baumkronen: «Es sieht bees aus!» – Wofür könnte Gronau ein Symbol sein? Für den Freischütz? Und wen warnt er mit seinem Ausruf? Warnt er überhaupt jemanden? Um solchen (und noch ganz vielen anderen) Problemen nachzugehen, empfehlen wir Ihnen die Lektüre der «Wetterau Tapes»: Wenn Sie vor der Lektüre nicht wussten, wo es im Leben langgeht, hinterher wissen Sie es auch nicht. Aber eines werden Sie gelernt haben: Das Leben gewinnt beträchtlich an Unterhaltungswert und Farbe, wenn Sie es durch Jan Petersʼ Kaleidoskop-Brille betrachten.

Pastor Möbius, Ev.-luth. Standortgeistlicher, Fliegerhorst Goslar, 25. August 2019

 

Wat mutt, dat mutt

Sehr geehrter Herr Petersen! Wenn Sie glauben, dass Sie all die Jahre ungestraft auf uns Holsteiner herabsehen sowie auf uns herumhacken können, dann will ich Sie jetzt eines Besseren belehren. Glauben Sie bloss nicht, die hier ansässige Dorfbevölkerung hätte vergessen, wie Sie im Spätsommer des Jahres 1982 bei uns in unserem friedlichen Ort mit anderen Bolschewisten zusammen in einer Kommune gehaust haben. Und nachts mit lautem Gebrüll Bierflaschen aus Ihrer Wohnstube in den Vorgarten geschmissen haben, ohne vorher die Fenster zu öffnen! Glauben Sie das denn man bloss nicht! Und dass Sie dann an der Oberschule in Glückstadt diese Schwierigkeiten mit der Schulleitung hatten, woher kam das denn man bloss?

Isern Hinnerk, Amt für Wasser- und Landwirtschaft, Brunsbüttelkoog, 25. August 2019

Antwort von jp: Sehr geehrter Herr Heinrich! Auf die Frage, ob die Meinung eines unterbelichteten Schleusenwärters am Kaiser-Wilhelm-Kanal irgendeine Relevanz für irgendjemanden haben könnte, will ich hier gar nicht erst eingehen. Allerdings widerspreche ich vehement Ihrer nachweislich falschen Behauptung, ich hätte in Glückstadt/Elbe am dortigen Gymnasium Schwierigkeiten mit der Schulleitung gehabt. In Wirklichkeit war es vielmehr so, dass die Schulleitung Schwierigkeiten mit mir hatte. Auch Ihre unausgesprochene Unterstellung, ich hielte den Holsteiner für einen «Arsch mit Ohren», ist nachweislich falsch. In Tat und Wahrheit halte ich den Holsteiner für einen …

 

Wuthering Heights

Kürzlich gab der Autor Jan Peters der Neuen Fricktaler Zeitung, einem Blatt aus seiner Wohnsitzregion, ein längeres Interview. Neben der positiven Tatsache, dass der ihn Befragende offensichtlich eine gutes Gefühl dafür entwickelt hat, was jp umtreibt, ihn zum Schreiben brachte und daran hält, ist beim Autor eine Desillusionierung unübersehbar, was die Rezeption seiner Texte durch das Publikum betrifft: «Meine Bücher stossen leider weitgehend auf Unverständnis – ich gelte als schrecklich kompliziert.» Trotz intensiver Marketingbemühungen kämen die Verkäufe der «Wetterau Tapes» nur eher schleppend in Gang, wie Peters in dem Interview am Rande erwähnt. Mit der ihm eigenen Zurückhaltung (die er in einem kürzlich auf seiner Website erfolgten Blogbeitrag allerdings völlig ablegt) geht er im Pressegespräch darüber hinweg und äussert sich eher zu Themen, die er für wichtiger hält. Wir möchten jetzt nicht im Einzelnen analysieren und darlegen, warum wir meinen, dass die derzeitige «Nichtaufnahme» durch den Markt ungerechtfertigt ist, dass wir sein neuestes Werk weder für «inhaltsschwach» (der Facettenreichtum des Texts sucht ganz im Gegenteil seinesgleichen) noch für unattraktiv halten, sondern dass wir vielmehr der Überzeugung sind, dass die durch den Information and Entertainment Overkill heillos überforderte – bis willfährig abgestumpfte – Konsum- und Spassgesellschaft nicht willens, nicht bereit oder ganz einfach unfähig ist, jp in die vielfältig verschachtelten Landschaften seiner Gedankenwelt zu folgen: «Sie sind sooo schwierig, Herr Peters!!» Da der Autor es langsam ziemlich ermüdend zu finden scheint, solche geradezu Pawlow’schen Reflexe auf sein Schreiben endlos öffentlich zu parieren, möchten wir dies für ihn übernehmen: «Liebe Leserinnen und Leser, wie wär’s denn, wenn ‹wir› uns etwas mehr Mühe gäben?» Oder, um es mit den Worten des Herausgebers der «Tapes» zu sagen: «Stellen Sie sich bei der Lektüre auf Peters’sche Gedankenakrobatik ein. (…) Ich möchte, dass Sie durchhalten und hinterher sagen: War mir ein Vergnügen, meine Herren!» – Und jp möchten wir aufmunternd zurufen: «Wer kämpft, weiss nicht, ob er siegen oder verlieren wird. Wer aber NICHT kämpft, der hat bereits verloren!»

Anne, Emily, Branwell and Charlotte Brontë, Aug 28th, 2019

Answer jp: Dear beloved sisters, thank you ever so much for your compassion. I certainly have to be careful NOT to develop too much sympathy for John Daniel Edward “Jack” Torrance. Mind you, I’m talking about his behaviour, not his so-called “writing”…

 

«D.b.d., d.h.k.P. – u.k.k.U.»

Sehr geehrter Herr Schriftsteller Peters, meine Freundin hat mit zum Geburtstag, wohl aus vermutlichem Versehen, Ihr neues Buch freundlich geschenkt. Zunächst kam mir in den Sinn, dies sei wohl eher nichts für einen einfachen Menschen, wie ich einer bin: Die quatschen da so kariert! Bei denjenigen Stellen in Ihrem Buch, wo Sie über Bücher, Kultur usw. schreiben, habe ich flugs weitergeblättert, das war ja das reinste Chinesisch! Dann aber kamen diese Szenen mit den schweren Jungs auf den Harleys, den Höllenengeln, wo mir sehr jut jefalln haben. Da musste ick dann immer an det Lied von Bolle denken, der jüngst zu Pfingsten nach Berlin reiste. Bei der Keilerei auf der Hasenheide kam der so richtig in Stimmung. Det war so ähnlich wie damals in unser Stammlokal «Sodtkes Restaurant», wo wir diese Vollpfosten vermöbelt haben. Ich weiss zwar nicht, wo die Wetterau liegt, da scheint’s aber richtig rund zu gehen. Und zu der Stelle, wo dem bekloppten Road Captain seine geklauten Räder von der Polente wieder geklaut werden, möchte ick abschliessend bemerken – siehe Überschrift.

Adolf Leib, Präsident Geselligkeits-Club Immertreu e.V., Berlin-Friedrichshain, 29. August 2019

Antwort von jp: Sehr geehrter Herr Leib, über Ihr grundehrliches Schreiben ha ick mir janz besonders jefreut! Wenn ich mir ansehe, wie das heutige asoziale Airbnb-Partygesindel einen Berliner Kiez nach dem total versaut, kann ich nur sagen: Bei Ihnen und den Jungs vom Ringverein, die noch ein intaktes proletarisches Klassenbewusstsein hatten, wäre das garantiert nicht passiert! Mit getrennter Post erlaube ich mir, Ihnen zwei Gutscheine für Sie und Ihre Freundin für einen entspannten Wochenend-Aufenthalt auf dem Zeltplatz «Kuhle Wampe» in Köpenick zu übersenden – Freundschaft!

 

Eine Frage der Gewichtung

J. Peters schreibt in seinem Autorenportrait, dass er sich bewusst auf Nischenmärkte beschränke und dass er das Massenpublikum nicht als seine Primärzielgruppe ansehe. Wer dies als jps vorgeschobene Behauptung ansieht, um den Status eines Bestsellerautors in durchsichtigster Weise als «nicht erstrebenswert» zu diffamieren, dem sei ein Blick auf den Blogbeitrag «http://www.jan-peters.ch/augen-auf-bei-der-berufswahl/» empfohlen. Namentlich beim lexikalischen Eintrag «Influencerin» zieht der Autor so richtig vom Leder und gibt bekannt, was er von dieser Art von «Digital Natives» hält. Eine tiefe Verachtung der Komplettkommerzialisierung des Lebens bricht sich Bahn. jps Gegenmodell des Lebens und zum «Homo oeconomicus» ist in den «Wetterau Tapes» zu betrachten, in deren Untergrund das klassische deutsche Bildungsbürgertum in geballter Form herumgeistert. YouTubers, Social Networkers, Cyborgs, Netzaktivisten und andere digitalisierte Typen werden das Buch nach spätestens zwei Seiten mit einem angeödeten «Fuck you, Alter!» in die Ecke feuern, sich in ihren Gaming-Stuhl fläzen und sich wieder ihren Videospielen zuwenden. Es ist anzunehmen, dass Jan Peters dies eher als einen Ritterschlag denn als Beleidigung ansehen könnte. Altmodische Menschen hingegen, die es schätzen, in analogen Bibliotheken zu lustwandeln und sich dabei ihre eigenen Bestände wieder einmal in Erinnerung zu rufen und zu testen, was ihnen zum Stichwort «Konnotationen» so alles einfällt, dürften die «Tapes» mit Vergnügen zu sich nehmen. Kommet zuhauf: «You ain’t seen nothing, yet!»

A. Eibenschütz, Zlotogrod, 5. September 2019

 

Früchte des Zorns

Mit Jan Peters’ persönlicher Geschichte vertrauten LeserInnen ist nicht entgangen, dass Schule bei ihm ein Dauerthema ist, das mit der Hartnäckigkeit eines Wiedergängers in seinem Schreiben immer wieder auftaucht und mitunter die Dimensionen einer Obsession anzunehmen droht. Sein Erstling «Tief im Norden» widmete sich monothematisch dem System Gymnasium in spezifisch schleswig-holsteinischer Ausprägung der frühen 1980er-Jahre, in dem er sehr wenig von pädagogischer Zuwendung, dafür umso mehr von struktureller Gewalt in Form eines versteckten Lehrplans entdeckte (und am eigenen Leib erfahren durfte). Es schockierte ihn damals zutiefst, welche Unmengen von Überbleibseln wilhelminisch-grossdeutschen Obrigkeitsstaatsdenkens und -verhaltens er nördlich der Elbe antraf. Kurz nach Erscheinen dieses Buchs publizierte die Neue Zürcher Zeitung einen Generalverriss seines «Nordens». Die Hamburger Pflichtrezensentin, zu deren Kernkompetenzen normalerweise nicht das Abarbeiten von Auftragskritiken zählte, sondern die den Nachweis ihrer Kulturhoheit im hanseatischen Intelligenzwochenblatt ZEIT mittels Reiseberichten zu erbringen pflegte, die lyrische Überschriften à la Rosamunde Pilchers Herzensergiessungen trugen (Beispiel: Zur blauen Stunde kommt der Troubadour), liess kein gutes Haar an jps Betrachtungen seiner Holsteiner Katastrophenjahre von 1981 bis 1988: Peters wüte «in blinden Rundumschlägen» gegen die gradlinigen, sturmerprobten Holsteiner, die er aus seiner «Froschperspektive» fälschlicherweise als widerwärtige Trolle ansehe, die voller Niedertracht und Ranküne auf ihren Warften und hinter den Sperrwerken hockten und nur darauf lauerten, ihn, den pädagogischen Gutmenschen aus dem liberalen Frankfurt, zu vernichten. Die NZZ verweigerte damals eine vom Autor gewünschte Gegendarstellung. Wie die Neue Fricktaler Zeitung in einem kenntnisreichen Autorenportrait im August 2019 darlegte, sind Jan Peters’ Arbeiten häufig getriggert und durchzogen von einem Amalgam aus Heine’scher Gesellschaftskritik und schwarzromantischer Endzeitdramatik. Und hier liegt auch der Schlüssel zur von manchen LeserInnen als seltsam (bis unpassend) empfundenen mehrgleisigen Anlage der «Wetterau Tapes»: Während jp einerseits durchaus differenziert und abgewogen aus seinem Leben berichtet, tobt er andererseits im «Kleingedruckten» (im Fall der «Wetterau Tapes» typographisch tatsächlich wörtlich zu nehmen) als gewalttätiger Brutalo ohne jedes Mass gegen den ihn interviewenden Journalisten, bis dessen zerstörter VW Bulli als rauchendes Wrack auf dem Autobahnparkplatz zurückbleibt. Eventuelle Zeugen dieser Aktion beseitigt jp zum Abschluss des Textes in Cosa-Nostra-Manier, indem er dafür sorgt, dass sich diese Blödmänner versehentlich selbst in die Luft sprengen – The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde in der Wetterau; dies könnte ein tragfähiger Interpretationsansatz zum als schwierig verschrienen Jan Peters sein: Im Vorspann zu «Samuel Brüllhenne», seinem Opus Nr. 7, hat jp ausführlich dargelegt, wie so etwas funktioniert: Er knipst nonchalant das Freud’sche Über-Ich aus, startet seinen Schreibprozess und nennt dies «Organisches Schreiben©» – in den «Wetterau Tapes» vollzieht Mister Hyde voll destruktiver Lust, was Dr. Jekyll durch gesellschaftliche Normen strikt verboten ist: sicut ludos incipere!

Robert L. Stevenson, Edinburgh, Sept 8th, 2019  

 

 

Bücher von Jan Peters sind in jeder analogen Buchhandlung sowie bei einer unübersehbaren Zahl digitaler Book Shops erhältlich.