Ältere Zeitzeugen unter unseren Lesern werden sich noch daran erinnern, wie es dazumal war, als sich das Volk Israel unter der Führung von Brigadier Moses exodusmässig aus Ägypten davonmachte und erst mitten in der Wüste merkte, dass es versäumt hatte, sich beim letzten Pharao-Take-away vor dem Roten Meer mit dem nötigen Proviant einzudecken. Immer bohrender wurde sein Hunger, reinweg verzweifelt war es bereits.
Da liess der Herr bekanntlich ein Wunder geschehen. Überliefert ist uns dieses im 2. BuchMose, Vers 16, 4: «Der HERR sprach zu Moses: ‹Ey Alter, ich will euch himmlisches Brot herabwerfen, und das Volk soll hinausgehen und täglich aufklauben, was es des Tages bedarf, dass ichs versuche, obs in meinen Gesetzen wandle oder nicht.›»
Das wirft jetzt sofort einige brennende Fragen auf und führt zu tieferen Einsichten im Hinblick auf den Menschen, den Herrn sowie die innige Verflechtung der himmlischen und kapitalistischen Gesetze.
Erkenntnis Nummer eins: Wir hier unten im Jammertal des Lebens kriegen nix geschenkt; wenn wir uns das himmlische Brot respektive unseren Lohn nicht durch Wohlverhalten verdienen, wird uns alles gleich wieder weggenommen.
Erkenntnis Nummer zwei: Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Auszug des Volkes Israel aus Ägypten und den Prinzipien, die unser Wirtschaftssystem determinieren? Dies erkennen wir, wenn wir die Israeliten dabei beobachten, was sie anstellten, nachdem sie «Manna» – so nannte man früher Knäckebrot – erhalten hatten: Sie vertrugen die guten Zeiten schlechter als die schlechten und begannen, während Moses die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten «oben» abholte, wie verrückt um ein kleines glänzendes Rindvieh zu tanzen. Das machen heutzutage, um den Bezug zur Jetztzeit herzustellen, die «Shareholder», wenn hinterhältig grinsende Chinesen die Aktienmehrheit von Syngenta übernehmen. Perversionen dieser Art nennt man zusammenfassend «Tanz um das Goldene Kalb».
Wozu eine UStR III?
Wir verlassen die Israelis und wenden uns stattdessen verzögerungsfrei der Unternehmenssteuerreform (UStR) III zu, über die wir nächstes Jahr an der Urne befinden dürfen. Wer jetzt meint, dieser Übergang sei aber ein gar abrupter, der hat noch nicht begriffen, dass die Zehn Gebote und die Gesetze des Kapitalmarktes im Grunde dasselbe sind: Wenn wir ihnen zuwiderhandeln, ist unsere ewige Verdammnis bereits vorprogrammiert!
Die paar Franken
Es ist noch gar nicht so lange her, da hatten wir doch schon einmal eine sehr gelungene UStR, nämlich die mit der Nr. II; initiiert und dem bestens informierten Volk vollendet verscherbelt von einem gewissen Hans-Rudolf Merz, welcher nicht nur wegen seiner finanzpolitischen Begabung auffiel, sondern auch durch seinen bedenklichen «Bündnerfleisch»-Nervenzusammenbruch im Nationalrat für breite und beträchtliche Verwunderung sorgte.
Im Vorfeld der Abstimmung verkohlte der Herr FDP-Bundesrat Merz damals die «geschätzten Stimmbürgerinnen und Stimmbürger» mit Verlockungen der Art, die UStR II sei für alle die reinste Wohltat. Dass er sich bei den durch die UStR II zu erwartenden – und dann auch eingetretenen – Steuerausfällen für die Kantone um einige Nullen «verschätzt» hatte, kann einer Nullnummer wie Hans-Rudi Merz schon mal passieren. Und verglichen mit den täglichen Betrügereien der Bankster sind das ohnehin «Peanuts».
Wer könnte «Nein» sagen?
Derzeit ertönen elysische Sirenengesänge, mit denen versucht wird, dem Stimmvolk die UStR III schmackhaft zu machen. Irgendwie erinnert das an die UStR-II-Schalmeienklänge des H.-R. Merz – ob die neoliberalen Dunkelmänner wohl wieder dabei sind, dem Volk ein prächtiges Trojanisches Pferd zu zimmern?
Einige Beispiele, was die UStR III in ihrem Füllhorn für die Unternehmen bereithält:
- Die zinsbezogene Gewinnsteuer erlaubt fiktive Zinsabzüge vom steuerbaren Gewinn.
- Patentboxen erlauben eine Reduktion der zu versteuernden Gewinne auf 10 Prozent der tatsächlich erzielten.
- Forschungsaufwendungen können zu 150 Prozent vom Gewinn abgezogen werden.
- Frühere Einzahlungen von Aktionären, Agio-Kapital, können steuerfrei an die Aktionäre ausgeschüttet werden.
Dies schafft ganz, ganz viele, ganz, ganz tolle, ganz, ganz nachhaltige Arbeitsplätze!
Es wird an nichts fehlen
Und wer sich angesichts der unverhohlenen Raffgier der Finanzmärkte und des Spekulantengesindels schier seine Haare ausraufen könnte, der sei an dieser Stelle an die höchst fantasievolle «Trickle-down-Theorie» erinnert. Das ist für die Volkswirtschaft in etwa das, was Diego Armando Maradona für den Fussball war: «die Hand Gottes». Dieses neoliberale Glaubensbekenntnis, das mindestens so unanfechtbar ist wie die Geschichte des Volkes Israel, vor dem Moses das Rote Meer teilte, dieses «Trickle-down-Märchen» besagt, dass, wenn die Reichen so egoistisch und rücksichtslos wie nur irgend möglich sind, ein verborgener Marktmechanismus dafür sorgen werde, dass «die da unten» auch einige Krümel vom grossen Kuchen abbekommen. Wie damals beim legendären Manna-Regen in der Wüste Sinai.