Schule nach Gutsherrenart – ein Erfahrungsbericht aus Deutschlands Norden

Schule nach Gutsherrenart – ein Erfahrungsbericht aus Deutschlands Norden

Menschen, die ein gewisses Lebensalter erreicht haben, denken meistens voll verklärender Nostalgie an die Schulzeit zurück. Etwa in Form der «Feuerzangenbowle», in der sich Heinz Rühmann und seine Rasselbande vor Übermut kaum noch einkriegen können. Das Resümee ihrer Gymnasialzeit lautet oft: «Aber schön war es doch!» Wenn sich Jan Peters an seine Zeit als Lehrer an zwei Schleswig-Holsteiner Gymnasien erinnert, fällt ihm beim besten Willen nichts Anekdotenhaftes ein; es sein denn, man findet Zombies und SS-Obersturmbannführer als Schulleiter amüsant…

Es war Samstag, 31. Januar 1981, 11:00 Uhr morgens, als Jan Peters die Ostseeinsel Fehmarn erreichte. Dort sollte er eine Stelle als Lehrer für Englisch und Erdkunde am Inselgymnasium in Burg antreten. Öde, platt und menschenleer erschien ihm die Landschaft, die er sah, nachdem er in seinem Wagen die Fehmarnsundbrücke überquert hatte. Die Schule war in einem rein funktionalen Gebäude untergebracht, dessen architektonische Besonderheiten mit der nichtssagenden Umgebung verschmolzen. Grabesstille herrschte in diesem Gebäude, obwohl dort gerade Unterricht stattfand. Im direktoralen Dienstzimmer wurde der Neuankömmling von einem sich offensichtlich enorm ernst nehmenden Hanswurst erwartet, der eine frappante Ähnlichkeit mit dem Deichkomiker Fips Asmussen aufwies. Hatte P. sich geirrt? War dies gar keine Schule? Hatte er ungewollt die Tür zur Freakshow im Cabinet des Dr. Caligari aufgestossen?

Dann begann eine Commedia dell’arte à la Holstein: Diverse Treue-Eide auf vorgesetzte Amtsstellen, Behörden und Dienstherren waren zu leisten, dringende Hinweise auf die Notwendigkeit akribischster Pflichterfüllung wurden gegeben, Berichte über epochale didaktische Grosserfolge des Inselgymnasiums unter der hochkompetenten Leitung des derzeitigen Schulleiters wurden erstattet, Herr P. wurde dienstlich darüber belehrt, wie unerhört wichtig es sei, stets auf die Anweisungen der in allen Schulbereichen äusserst erfahrenen Schulleitung zu achten und dort fortlaufend sachkundigen pädagogischen Rat einzuholen (für Anfänger im Lehramt absolut unerlässlich!), den Umfang und die Wichtigkeit der Dienstpflichten niemals zu unterschätzen, auf Ruhe, Ordnung und Disziplin in der Schülerschaft zu dringen, das Mobiliar in den Klassenräumen niemals umzustellen, defekte Neonröhren und Steckdosen im Schulgebäude umgehend dem Hausmeister zu melden, nach dem Unterricht die Fenster weit öffnen zu lassen, auf dem Lehrerparkplatz ausschliesslich die dafür vorgesehenen Parkfelder zu benutzen (dabei unbedingt auf die Nummerierung zu achten!), die Bedeutung einer auf dem Unterricht aufbauenden Hausaufgabenstellung keinesfalls zu unterschätzen, Klassenarbeiten unverzüglich zu korrigieren und zeitnah zurückzugeben, die Klassenbücher sauber, aktuell und vollständig in leserlicher Schrift mit königsblauer Tinte Pelikan 4001 zu führen, Kontakt mit der Elternschaft aufzunehmen und zu halten (die Schulleitung über solche Kontakte fortlaufend unaufgefordert zu informieren!), Klassenfahrten solide zu planen und durchzuführen (in permanenter Absprache mit der Schulleitung!), Unterricht nur solide vorbereitet zu halten, auch in Kleidung, Haarschnitt und Pünktlichkeit den Schülern Vorbild zu sein, niemals eigenmächtige Entscheidungen zu treffen, jederzeit und überhaupt und in sämtlichen Fällen und ohne jede Ausnahme und sowieso…

Öde, platt und menschenleer erschien J. Peters die Landschaft, die er Ende Juni 1982 sah, als er in seinem Wagen die Fehmarnsundbrücke in Richtung Festland überquerte. Hinter ihm lagen anderthalb Jahre sinnlosen Herumfuhrwerkens unter dem manischen Kontrollwahn von Clown Pennywise, alias Schulleiter am Brettergymnasium in Burg auf Fehmarn. In seinem Gepäck lag eine verheerende Dienstbeurteilung: «Studienrat z. A. Peters hat unseren Anforderungen nicht genügt.» J. Peters’ abschliessende Beurteilung seiner Dienstzeit auf der Ultima Thule: «Die Insel Fehmarn und die dort angetroffene retardierte Bevölkerung haben meinen Anforderungen in keiner Weise genügen können; nicht einmal ansatzweise.»    

Im pädagogischen Strafbataillon

«Seien Sie auf der Hut, in Ihrer Klasse haben Sie einen Türkenjungen. Den müssen Sie im Auge behalten.» Dies wurde Jan Peters, der zur Bewährung an die Westküste versetzt worden war, bei seinem Dienstantritt im Juni 1982 am Detlefsen-Gymnasium in Glückstadt mitgeteilt. Der Schulleiter, der seine Zuneigung zum Militär vollkommen verinnerlicht hatte und wohl deshalb das unwiderstehliche Charisma einer 8,8-cm-Wehrmachtsflak ausstrahlte, musterte den Neuankömmling argwöhnisch. Einige Jahre früher hätte er wahrscheinlich gesagt: «Sie haben da so einen Judenbengel in ihrer Klasse. Sorgen Sie mittels entsprechender Benotung dafür, dass dieser Volksschädling liquidiert wird. Das ist ein Befehl!»

Zunächst allerdings wurde der Studienrat zur Anstellung Peters zum Abschuss freigegeben und als artfremdes Element aus dem Schuldienst entfernt. Eine der einfachsten Übungen – Psychoterror plus «Divide et impera» plus Mobbing mit dem Ziel der Existenzvernichtung funktionieren nirgendwo einfacher als im Schulsystem; zumal an einer Schule, deren Kollegium aus verängstigten, rückgratlosen Menschen besteht, die von einer diktatorischen Schulleitung nach Belieben manipuliert und unter Druck gesetzt werden können und denen Solidarität ein Buch mit sieben Siegeln ist. 

«Vermutlich hat es Ihnen an meiner Schule nicht besonders gut gefallen», sprach Anstaltsleiter Kaltenbrunner perfide grinsend und unterzeichnete im Beisein von Jan Peters im Juni 1983 dessen Entlassungsurkunde aus dem schleswig-holsteinischen Schuldienst, was ihm sicher ein innerer Reichsparteitag war. Dies exekutierte er mit derselben kalten Effizienz, mit der Rudolf Höβ die Lagerlisten in Auschwitz geführt hatte. Schliesslich erfüllt ein deutscher Beamter jederzeit seine Pflicht – unabhängig vom Ort, an den er gestellt worden ist!

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