Wer schreibt, der bleibt

Wer schreibt, der bleibt

Verehrtes Publikum

Wenn man öffentlich schreibt, ist es nicht immer völlig zu vermeiden, dass die Öffentlichkeit früher oder später davon Kenntnis erlangt. Wenn sich dieser Tatbestand dann aber erst einmal herumgesprochen hat, wird man ununterbrochen auf der Strasse angehalten und befragt: «Woran habt Ihr bemerkt, o Meister, dass etwas in Euch um Ausdruck rang?» Es wäre unpassend, darauf zu antworten: «Bemerkt habe ich eigentlich nichts von dieser Art. Es war wohl eher so, dass ich dachte, wenn der Goethe geschrieben hat, dann kann ich das ja auch mal versuchen!»

In der Schule mussten wir Aufsätze zu spannenden Themen abfassen: ‹Inwiefern kann Kants kategorischer Imperativ dem heutigen Menschen als Richtschnur dienen?› Das brachte mich in die Bredouille: War mit dem ‹heutigen Menschen› ICH gemeint? Und was sagte der ‹gestrige Mensch› dazu? Der hatte Fussball gespielt, statt sich mit Herrn Kant zu beschäftigen. Im Wissen um die Erwartungen des Deutschlehrers schrieb der ‹heutige Mensch› dann wahrheitsgetreu, dass er sich ein Leben OHNE Kant NICHT mehr vorstellen könne! Später dachte ich bei Königsberg mehr an Marzipan und Fleischklopse in Kapernsauce.

Inspirierender als den moralinsauren Kant fand ich die süssen kleinen Kichererbsen mit den lustigen Pferdeschwänzen, die mir jeden Morgen begegneten, wenn sie zum Mädchengymnasium liefen. Denen hätte ich gern romantische Briefe zugesteckt. Das traute ich mich damals aber nicht.

Früher liebte ich es melodramatisch: «Ans zerbrochene Ruder einer Bark holländischer Bauart gefesselt, hing eine schlanke menschliche Gestalt, umzuckt vom Flackern des Elmsfeuers, das wie irrwitzig von einer Mastspitze zur anderen sprang. Das gequälte Wesen erhob sein dornenbekränztes Haupt, erblickte mich und schrie ein grausiges Lachen herüber, halb Hohngelächter, halb Todesschrei…» – Heute wäre ich etwas zurückhaltender: «Bevor einer zur See fährt, sollte er sich das gut überlegen.»

Der letzte Absatz enthält alles, was man zum Schreiben eines Entwicklungsromans braucht – bin gespannt, was Sie draus machen können!

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