Wem Mainhattans wuchernde Skyline zu kalt ist, hier gibt es ein anderes Frankfurt am Main zu besichtigen, einen sehr persönlichen Lebensraum, in dem nicht der Börse der Puls gefühlt wird, sondern dem Menschen. Frankfurt ist eine mit Photos angereicherte Synthese von Traum und ‹Realität›: Es gibt keine ‹Realität›, wenn wir etwas ansehen, haben wir es bereits verändert.
FRANKFURT
Vermutungen über eine Zumutung
TEXTAUSZUG
Es ist nicht gerade einfach zu beschreiben, wie man sich dieser Stadt annähern muß, um sich von ihr angenommen zu fühlen – gewiß auch individuell sehr unterschiedlich.
Eine Methode führt allerdings garantiert zum Scheitern: das krampfhafte Suchen nach Heimat. Denn Heimat, verstanden und gefühlt als ein Ort, an dem überschaubare Verhältnisse herrschen, an dem Reproduzierbares dominiert, jederzeit Wiedererkennbares, das Schutz und Behütung verheißt:
Das findet man hier nicht!
Die Stadt hat etwas Wildes an sich, sie will nicht greifbar sein, Domestizierungsversuchen widersetzt sie sich heftig.
Man muß lernen, ihre Ambiguität zu fühlen, in ihr zu leben und die Kraft aufzubringen, sie auszuhalten, ihren unbezähmbaren Drang, frei zu sein, akzeptieren, und dann, wenn man dafür bereit ist, fühlt man plötzlich, wie sie näherkommt, leise schnurrend – Frankfurt ist eine Wildkatze!
(Hamburg ist ein blasierter Pekinese, Stuttgart ein wöchentlich gebadeter Pinscher, Köln ein getrimmter Königspudel mit einem Karnevalsorden als Hundemarke, München ein Deutscher Schäferhund mit Würgehalsband – und in Berlin laufen augenblicklich Kreuzungsversuche; das Ergebnis ist bislang nicht einzuschätzen…)
Erst kommt sie nur nachts, nach Katzenart, wenn sie glaubt, daß man schlafe. In vielen Folgenächten bleibt sie dann wieder aus. Jetzt muß man sich auf die Suche nach ihr machen, denn sie hat gespürt, daß man ihr ähnlich geworden ist, und sie beginnt mit ihrem Liebeswerben; irgendwo wartet sie, damit sie ihre Kräfte messen kann.
Sie hat viele Verstecke und kennt sich teuflisch gut aus:
Auf der Zeil, der umsatzstärksten Einkaufsstraße Deutschlands, spiegelt sie sich in den glänzenden Auslagen der Kaufhäuser – eitel nach Katzenart.
In der Freßgass’ kauft sie die erlesensten und teuersten Delikatessen der Welt, räkelt sich, großmäulig mit dem Handy gestikulierend und doch voller Angst, übersehen zu werden, in den Straßencafés – exhibitionistisch nach Katzenart.
Oder gleitet auf «Goodyear Eagle», breit wie Straßenwalzen, in einem untergründig grollenden «Testarossa» durch die Goethestraße – verhalten-aggressiv nach Katzenart.
Wir haben sie aber auch schon dabei beobachtet, wie sie sich in den heruntergekommenden Bordellen der Mosel- und Elbestraße bespringen ließ, ohne den Anflug von Reue zu kennen – triebhaft nach Katzenart.
Verregnete Sonntage verbringt sie, als sei sie gestorben, Stunde um Stunde in völliger Apathie – träge nach Katzenart.
Sie ist überall und nirgends zugleich: Mal spekuliert sie an der Börse um siebenstellige Beträge, dann verhökert sie auf dem Flohmarkt hinter dem Eisernen Steg ein geklautes Autoradio – für ein paar Mark.
Mal diniert sie stilvoll bei Kerzenschein im Brückenkeller, mal besäuft sie sich in Griesheim in einem Ruderclub direkt am Main nach Strich und Faden – in einer Art und Weise, daß man sich für sie schämen muß.
Sie selbst schämt sich nie, denn all dies ist sie: Und das Geheimnis der Annäherung an Frankfurt ist gelöst: Ihren ungestümen, durch nichts und niemanden zu begrenzenden Freiheitsdrang muß man ertragen können, dann erhält man von ihr dieselbe, unendliche Liberalität zurück; sie läßt einen einfach so leben und so sein, wie man es verlangt und vor sich rechtfertigen kann. In dieser Stadt kann man sich sehr schnell so befreit fühlen wie sonst nirgends.
FRANKFURT
Vermutungen über eine Zumutung
REZENSIONEN
Basellandschaftliche Zeitung, 19. Mai 1999
Jan Peters‘ «Frankfurt – Vermutungen über eine Zumutung»: eine höchst ungewöhnliche Art, sich einer Stadt zu nähern
Woran denken Sie, wenn Sie den Namen Frankfurt am Main hören? An das Getümmel des labyrinthischen Rhein-Main-Flughafens, auf dem Sie beim Umsteigen während der letzten Urlaubsreise fast Ihren Anschlussflieger verpasst hätten? Verkehrschaos im Stadtzentrum, die russische Mafia im Bahnhofsviertel, Nutten und Drogen? Oder an glänzende Hochhausfassaden, die Europäische Zentralbank, Goethe und die Alte Oper, wie sie in den zahlreichen Stadtführern zuhauf zu finden sind?
Klischees über Frankfurt gibt es auf beiden Seiten genug, auf der Soll- wie auf der Haben-Seite, um in Termini zu sprechen, die in dieser Stadt verbreitet sind. Gleichwohl stimmen sie alle nicht. Frankfurt ist das eine sowenig wie das andere, Frankfurt ist vielmehr eine Erfahrung, und die kann jeder nur für sich selbst machen. Ein ehrliches Buch über diese Stadt ist also eines, das sich den subjektiven Eindrücken stellt, denn sie sind der einzige objektive Massstab.
Ein solches «Frankfurt» von Jan Peters, ein Buch, das schon im Untertitel seine Absichten formuliert: «Vermutungen über eine Zumutung», nach den Worten des Autors eine «willkürliche Sammlung alter und neuer Gefühle, intellektueller Einsichten, Zu- und Abneigung, Hass und Liebe…» – Für all das ist Platz in dieser Stadt. Jan Peters weiss, wovon er spricht. Er hat viele, nach eigenem Bekunden entscheidende Jahre seines Lebens in Frankfurt verbracht, hat Einblick genommen in die verschiedensten Lebensbereiche, und das in einer Zeit, als mit dem Wort «Szene» all jene Lebensformen beschrieben wurden, die von den verbreiteten bürgerlichen abwichen. Es war die Zeit nach 68, als in der Stadt vieles in Bewegung geraten war – der jetzige deutsche Aussenminister weniger durch Diplomatie als durch spontane Aktionen an der Universität in die Presse kam, und Cohn-Bendit seinen Ruf als Bürgerschreck Nr. 1 in vollen Zügen genoss.
J. Peters’ Binnensicht der Verhältnisse, die jeden Anspruch auf Vollständigkeit von sich weist, liefert gerade dadurch einen Einblick in das Leben hinter der Vielzahl von Schablonen, die über Frankfurt im Umlauf sind. Und hier entdeckt er Weltstädtisches wie die Banken, aber auch Provinzielles wie die Sachsenhäuser Äbbelweinkultur, Skurriles und auch Abstossendes. Vor allem aber ist sein Buch eine Liebeserklärung an die Stadt. Und wie bei jeder Geliebten trägt man auch immer ein Bild im Herzen. Hier sind es viele Bilder, Fotos vom Autor selbst angefertigt in langen Streifzügen, und sie zeigen das «andere» Frankfurt, ohne die repräsentative und stolze, ehemals «Freie Reichsstadt» zu verleugnen.
Wenn Sie einen Stadtführer suchen, der Ihnen eine höchst ungewöhnliche, sehr subjektive Verquickung von Innen- und Aussenansichten dieser Stadt am Main nahebringt, sehr intensiv geschildert, sehr subjektiv verarbeitet, von Träumen durchbrochen – oder besser intensiviert – sollten Sie sich auf diesen Ausflug begeben.
Nach mehr als 25 Jahren eigenen Lebens in «Mainhattan» sehe ich nach J. Peters’ «Frankfurt – Vermutungen über eine Zumutung» diese Stadt mit anderen Augen.
Dr. Raimund Gerz
Bücher von Jan Peters sind in jeder analogen Buchhandlung sowie bei einer unübersehbaren Zahl digitaler Book Shops erhältlich.