Erstens: Gewählt wurde ein gewisser Ignazio Cassis aus dem Tessin, den niemand vorher auf der Rechnung hatte.
Zweitens: Herrn Neu-Bundesrat Ignazio Cassis wurde vom restlichen, dienstälteren Gesamtbundesrat das Ressort Aussenpolitik zugeteilt.
Sein Amtsvorgänger Didier Burkhalter, der auch häufig als «Schweizer Aussenminister» bezeichnet wurde, fühlte sich mehr oder weniger für internationale Fragen zuständig. Ob Herr Cassis dies in seiner neuen verantwortlichen Position auch so sehen wird, bleibt abzuwarten.
Jedenfalls steht er ab sofort unter Beobachtung, so viel ist schon mal klar; wenn auch sonst wenig in Bezug auf ihn. Schon nach dem 2. Wahlgang, aus dem der Tessiner Freidemokrat als Sieger hervorging, wurde gemutmasst: «Wer ist dieser Cassis und was ist von ihm zu erwarten?» Dann trat der neu Gewählte ans Rednerpult, dankte artig allen, die ihn (nicht) gewählt hatten, und zitierte eine gewisse Rosa Luxemburg.
Auf der Pressetribüne brach blanke Panik aus: «Rosa Luxemburg? Wer ist das denn?» Die Geliebte des Brüsseler Schlitzohrs Jean-Claude Juncker, der bei uns schon einmal unangenehm dadurch auffiel, dass er, ohne vorher auf dem diplomatischen Wege Erlaubnis eingeholt zu haben, unsere brave Simonetta Sommaruga öffentlich abknutschte?
«Freiheit ist immer die Freiheit der Anderen!», schwadronierte derweil Cassis am Rednerpult und trug damit noch weiter zur allgemeinen Verwirrung bei.
Der zur Feier des Tages malerisch in einen Gottfried-Keller-Gedächtniskittel gewandete ‹NZZ›-Korrespondent drehte sich zum ‹Weltwoche›-Schriftleiter, welcher einen feschen schwarzen Waffenrock trug: «Wen meint der Typ mit ‹den Anderen›, Sturmbannführer?»
«Wenn dieser Italo-Halbschuh drauf anspielt, dass wir jetzt fremde Richter aus dem Tessin kriegen, dann kann er sich warm anziehen», knurrte Köppel, zerrte ein Schweizer Feldtelefon 50 aus seinem Tornister und begann sogleich grimmig fluchend wie wild daran zu kurbeln.
Nach rund 30 Minuten stand schliesslich die Verbindung: «Hier Feuerleitzentrale Bundeshaus!», diktierte er herrisch in die Muschel, «Aufmacher für morgen: ‹Haben Sie schon einmal versucht, einen Risotto an die Wand zu nageln?›»