Die Rocky-Horror-Corona-Virus-Show

Die Rocky-Horror-Corona-Virus-Show

Da der NEBELSPALTER, das älteste satirische Magazin der Welt, kein den Niederungen der Tagesaktualität unterworfenes Blatt ist und sich deshalb ausschliesslich seriösen Existenzfragen widmen kann, wollen wir die Debatte um Covid-19 von einer gehobenen Warte aus führen. Beim Spiegel war kürzlich online zu lesen: «Wenn all das durch ist, wird man Europa neu denken müssen.» Der NEBELSPALTER schliesst sich dieser Meinung an und ist dem Hamburger Intelligenzblatt beim Nachdenken gern etwas behilflich.

Wir werden uns damit anfreunden müssen, dass nach Corona politisch, wirtschaftlich, sozial, touristisch vieles anders werden muss. Eine Möglichkeit wäre, jetzt einige hochintelligente Vorschläge zu machen, wie wir unser Dasein neu justieren könnten, um es für ein Leben nach dem Virus tauglich zu machen; falls es ein solches überhaupt geben wird! Weil dergleichen Spekulationen aber eindeutig in den Bereich der Spökenkiekerei fallen, überlassen wir solche Schreibübungen gern dem Boulevard – oder dem Spiegel, der dank seines bei ‹Fantasy› federführenden Experten Claas-Hendrik Relotius über reiche Erfahrungen in diesem Genre verfügt.

Fangen wir also, wie gesagt, nicht damit an, was wir zukünftig tun, sondern vielmehr mit dem, was wir nicht tun sollten: «Corona wurde von achtarmigen Zwischenwesen in außerirdischen Giftlaboren hinter der Venus herangezüchtet, um die menschliche Spezies erst zu verwirren, dann die Schwächeren auszusortieren und den gesunden Rest per Hypnose zu willenlosen intergalaktischen Arbeitssklaven umzuprogrammieren», teilte die Frankfurter Rundschau am 18. März ihrer psychisch ohnehin schon stark in Mitleidenschaft gezogenen Leserschaft mit, die ob dieser bildhaften Hieronymus-Bosch-Fantasien in akute Schnappatmung verfiel. Nicht gänzlich auszuschliessen wäre natürlich auch, dass Fantômas die Gelegenheit beim Schopf ergriffen hat und mit seinen virusinfizierten Klauen nach der Weltherrschaft greift!

  • Zwischenzusammenfassung: Wir müssen ein für alle Mal lernen, mit diesen dämlichen Verschwörungstheorien Schluss zu machen – ob uns dies nun gefällt oder nicht, der Gefreite der Reserve Adolf Hitler ist nicht heldenhaft vor Stalingrad bei der Verteidigung Europas gegen die Bolschewisten gefallen, und nicht Elvis Presley, sondern Jesus Christus war Gottes Sohn. Punktum!

«Und es kommt noch schlimmer!»

Im Zuge der Pandemieausbreitung bürgerte es sich in ‹Fachkreisen› sukzessive ein, immer schärfere Forderungen nach sozialen Restriktionen zu erheben, einige das Kommandieren liebende Apparatschiks witterten Morgenluft und traten mit Gleichgesinnten in einen Überbietungswettbewerb von Verboten und Einschränkungen ein. Auch etliche moralinsaure Sittenwächter nutzten die Gunst der Stunde, um der verlotterten Spassgesellschaft deren Libertinage, die den selbsternannten Tugendhütern schon lange ein Dorn im Auge war, triumphierend um die Ohren zu schmettern. Für Evangelikale und Fundamentalisten ähnlicher Couleur war es sonnenklar, dass wir bei Covid-19 von einer Strafaktion Jehovas auszugehen haben: Wie ER einst den Turmbau zu Babel zum Erliegen brachte, so habe der ‹Ewige› von den Zinnen der Chinesischen Mauer herab mit der Infektion der ‹neuen Art› Tod und Verderben über die sündhafte Menschheit gebracht.

Bei der Presse erfreuten sich kassandrinische Prophezeiungen wachsender Beliebtheit, und die apokalyptischen Reiter sprengten durch die Redaktionsstuben wie Lützows wilde verwegene Jagd – «Und dies ist erst der Anfang!», «Nach der Pandemie ist vor der Pandemie!», «Eine Mitteilung aus der Charité lässt aufhorchen: Die Abwesenheit von Symptomen ist das deutlichste Zeichen für bereits erfolgte Infektion!» Nervtötend redundanter «Ja, aber»-Weltuntergangs-Journalismus (siehe dazu auch: https://www.jan-peters.ch/wird-alles-noch-schlimmer-kommen/) feierte fröhliche Urständ in Zeiten, in denen die Pestzeichen am Himmel standen, und Bachman-Turner Overdrives «You ain’t seen nothing, yet!» hätte erneut Chancen gehabt, die Charts zu stürmen.

Das Lied vom Tod

Daniel Koch, Leiter «Übertragbare Krankheiten» beim Eidgenössischen Bundesamt für Gesundheit (BAG), verbreitete regelmässig die Ausgelassenheit eines exhumierten Zombies, wenn er die Bevölkerung mit Cohen’scher Leidenschaft – «First we take Manhattan, then we take Berlin» – darauf hinwies, dass früher oder später alle von uns den Löffel werden abgeben müssen; die Stimme aus der Krypta: «Nichts anderes als der Tod erwartet uns, meine Damen und Herren – uns alle!» Die ihm angstvoll lauschende Journaille flüchtete daraufhin zähneklappernd unter die Tische. Tief beeindruckt von der umgehend ausbrechenden Massenpanik, geriet der NZZ-Bundeshaus-Berichterstatter dermassen aus dem Konzept, dass er eine krasse Falschmeldung nach Zürich kabelte: «Bundesrat plant Wiedereinführung der Todesstrafe!»

Dem Verfasser dieses Artikels, der vor Jahr und Tag das zweifelhafte Vergnügen hatte, 15 Monate lang in einer NATO-Kampfeinheit den freien Westen gegen die NVA und die Rote Armee zu verteidigen, fiel bei solchen Darbietungen spontan ein schmissiges Soldatenlied ein, das die kaiserliche deutsche Infanterie im Ersten Weltkrieg zu intonieren pflegte, während sie im Gleichschritt in Richtung Marne und Somme marschierte: «Im fernen Flandernlande, da mäht der Schnitter Tod. Es steht am Wegesrande manch Kreuz im Abendrot.» – Homo erectus frohen Mutes auf dem Weg in die Stahlgewitter an der Westfront.

Eine Frage der Einstellung

Kennen Sie die Geschichte von den zwei Fröschen, die versehentlich in einen Topf mit Sahne plumpsten? Der eine war ein Optimist, der andere ein Pessimist. Der Pessimist gab jegliche Hoffnung auf, röchelte «Macht’s gut, Jungs!» und versank in den weissen Fluten. Der Optimist dagegen begann um sein Leben zu strampeln. Die Sahne wurde nach und nach steif, bis der Frosch schliesslich erschöpft, aber glücklich gerettet oben auf der geschlagenen Sahne thronte. Dieser kleine Überlebenskünstler sollte uns lehren, dass wir aufhören müssen, den Untergang des Abendlands an die Wand zu malen: Mit Verzagtheit löst man keine Krisen!

Verschwörungstheorien zum Letzten – ob das Virus die Rache der Schöpfung für den Grössenwahn und den Hochmut des Menschen ist und ob unser Planet sich gerade vom Homo sapiens befreit und damit die Klimakrise auf seine Weise löst, besprechen wir, wenn wir das Virus besiegt haben, okay? Ausserdem sind wir Menschen mit vielen Talenten ausgestattete Lebewesen und glauben nicht an Extraterrestrische – es sei denn, sie hiessen E.T.

Wettlauf der Systeme

Das Reich der Mitte, in dem die Epidemie ausbrach, kann nicht unbedingt als ein Musterbeispiel für Demokratie durchgehen. Sondern eher als eine eigentümliche Mischung aus «Rest»-Kommunismus und entfesseltem Urwaldkapitalismus. Nachdem die Chinesen, die Fledermäuse zum Fressen gern haben, zunächst versucht hatten, das Auftreten der Infektion unter der Decke zu halten, ergriff die Diktatur drakonische Massnahmen zwecks Isolierung der Menschen, die bis hin zur kompletten Abriegelung ganzer Regionen führten.

Als Covid-19 dann in Europa um sich zu greifen begann, verhielten sich die betroffenen Demokratien zunächst zögerlich dabei, erstens das Gravierende der Situation anzuerkennen. Und zweitens, die heiligen Rechte des Individuums mit dem Ziel des Überlebens der Gesamtgemeinschaft zu beschneiden: Man appellierte an die Einsichtsfähigkeit des Einzelnen im Sinne der Aufklärung und hoffte, Vernunft und Solidarität würden zur Erkenntnis führen, dass nur ein zeitlich limitiertes Eingrenzen des Individuums und dessen unendlich geliebter Freiheiten zum Sieg über das verfluchte Virus führen würde. Wenn man dann aber sah, wie auf Partymeilen rauschende Corona-Feten abgezogen wurden und der Homo neanderthalensis wegen zwei Rollen WC-Papier seinem Nächsten im Supermarkt an die Gurgel ging, dann…

Nehmen Sie gefälligst Ihren Arm von meiner Schulter! Oder haben Sie noch nie etwas von Social Distancing gehört?

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