Männer, die in Stiefeln sterben

Männer, die in Stiefeln sterben

Verehrtes Publikum

Heutzutage, da unsere Verteidigungsfähigkeit und die westlichen Werte stark gefordert sind, erinnere ich mich häufiger an meinen 20-monatigen Wehrdienst bei der deutschen Bundeswehr. Es war eine fordernde Zeit, geprägt von markigen Vorgesetzten und einer legendären Kameradschaft. Wir hielten zusammen wie Pech und Schwefel, waren motiviert und wussten, wozu wir dienten, denn zur Sowjetzone war es nicht weit. Hocheffiziente Ausbildung und überlegene Waffentechnik machten unsere Kompanie zu einer schlagkräftigen Truppe, die voll hinter dem Verteidigungskonzept der NATO stand.

Im Februar 19.. wurden wir auf einen Truppenübungsplatz in der Lüneburger Heide verlegt; auf dem Dienstplan hatte gestanden: «Der Panzergrenadier im Gefechtseinsatz gegen Feindpanzer.» Als erster Freiwilliger meldete sich «Panzer-Willi», unserer schneidigster Kamerad, den ersten scharfen Schuss mit der schweren Panzerfaust abzugeben. Willi setzte sein «Eiger-Nordwand-Gesicht» auf, schulterte mit breitem Grinsen die Donnerbüchse, kniete nieder, zog den Abzug durch und…

Thor schlug mit seinem Hammer zu: Die Granate zündete mit ungeheurem Knall, stiess einen feurigen Kometenschweif aus, fuhr bösartig fauchend aus der Bazooka und fand ihr Ziel in einem Panzerturm, den sie krachend aus dem Drehkranz hob und neben den Panzer kippte.

Der Schütze, der schwankend auf die Beine gekommen war, ähnelte dem von ihm zerschmetterten Panzer: Vom Stahlhelm war ihm nur das innere Lederteil auf dem Kopf verblieben, der «Kochtopf» lag 10 Meter von ihm entfernt im Schnee. Das Okular des Zielfernrohrs hatte ihm einen schwarzen Ring ums Auge gemalt, die verrussten Haare hingen ihm wirr in die Stirn: Stonewall Jackson, der Panzerzerstörer von Bergen-Hohne, bot den beklagenswerten Anblick eines begossenen Waschbären.

«Heiliges Kanonenrohr» stammelte Willi, sank in den Schnee – und schwieg. In den Folgetagen vermittelte ihm sein Gehör das Geräusch zweier voll beladener Güterzüge, die mit kreischenden Bremsen zusammenstiessen und mit Donnergetöse aus den Gleisen sprangen.[1]

Anschliessend meldeten sich keine weiteren Freiwilligen mehr zum Panzerfaustschiessen. Dieses pyrotechnische Grossereignis legte beredtes Zeugnis vom beeindruckenden Abschreckungspotential ab, das der NATO-Bewaffnung innewohnt.


[1] Um posttraumatischen Belastungsstörungen vorzubeugen, sollte das gefechtsmässige Schiessen mit der schweren Panzerfaust grundsätzlich in Anwesenheit eines Feldgeistlichen stattfinden, der den Schützen bei Bedarf pastoralen Beistand leistet.

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