Verehrtes Publikum
Es gibt sie noch – die Firmen, bei denen Kundenfreundlichkeit grossgeschrieben wird. Ungeachtet dessen weigert sich unsere über die Massen verwöhnte Öffentlichkeit beharrlich, dies anzuerkennen; statt zu loben, wird bei uns dauernd lamentiert. Das scheint mir die Krankheit der Epoche zu sein. Geradezu antizyklisch möchte ich heute eine Lanze für praktizierte Kundennähe brechen.
Nehmen wir z. B. Kaiseraugst, das derzeit eine Boomtownphase erlebt: Wohin man auch sieht, überall wird gebaut. Die dabei auftretenden Kollateralschäden in Form von Wildwest-Verkehrsverhältnissen und höllischem Lärm sind billigend in Kauf zu nehmen, da ein Ende absehbar ist und in spätestens 15 Jahren alle Umbauarbeiten abgeschlossen sein werden.
Die Kaufmann- und Ärzteschaft musste wegen der Liebrüti-Neugestaltung umziehen und hat sich auf der anderen Seite der Giebenacher Strasse in einem Containerprovisorium, das einer Pioniersiedlung auf dem Mars ähnelt, neu formiert. Mit der Schaffung dieses Service-Clusters sind innovative Synergien entstanden, die es ermöglichen, ehedem komplizierte Prozesse in einen sequenziellen Workflow zu integrieren. Konkret:
Sucht man den Lebensmitteldiscounter auf, muss man darauf vorbereitet sein, dass dort Temperaturen herrschen, die Eisbären ein Lächeln ins Gesicht zaubern würden. Man geht hier davon aus, dass sich nicht nur das Lebensmittelsortiment, sondern auch die Kundschaft länger hält, wenn alles gut gekühlt wird. Wer sich dort erkältet, kann sich in der vis-à-vis gelegenen Apotheke darüber informieren, dass die Arzneien, die er braucht, derzeit nicht lieferbar sind.
Kunden, welche die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen, wissen es zu schätzen, dass es eine Poststelle in der Apotheke gibt. Dort kann man Briefe aufgeben, in denen man bei Pharma anfragt, ob es den gnädigen Herren vorstellbar wäre, die Apotheke gelegentlich mit so exotischen Medikamenten wie Hustensaft zu beliefern – falls dies keine allzu grossen Umstände macht…