Verehrtes Publikum
Generell geht die Bevölkerung davon aus, dass Kommunikation der gegenseitigen Verständigung und Nivellierung von Informationsgefällen dient. Im Grossen und Ganzen funktioniert dies auch ganz gut. Wenn mich beispielsweise einer fragt: «Wie spät ist es?», erkenne ich umgehend, dass ICH etwas besitze, das er NICHT besitzt: Kenntnis von der Uhrzeit. Ich befinde mich ihm gegenüber im Vorteil. Es ist nun komplett in mein Belieben gestellt, ob ich ihn auf Augenhöhe kommen lasse und sage: «Es könnte halb vier Uhr morgens sein» oder ihm die Information verweigere und sage: «Ich an Ihrer Stelle würde mir mal eine Uhr kaufen.»
Im Strassenverkehr erhöht klare Verständigung die Sicherheit. Beispiel: Wenn mir im Grossen Kanton jemand die Vorfahrt nimmt, lasse ich das Fenster herunter, strecke den Kopf hinaus und frage höflich: «Noch alle Tassen im Schrank, du Hornochse?» – MERKE: In Deutschland duzt man generell andere Verkehrsteilnehmer. Polizeibeamte eher nicht.
Diese Szenerie enthält einige grundsätzliche Komponenten, die Kommunikation erfolgreich machen: Ich als Sender verwende einen sogenannten ‹offenen Code›, den EmpfängerInnen jeder sozialen Schicht unabhängig von der Höhe ihres IQ verstehen; meine ruhige Art des Vortragens entspannt die Situation und erleichtert die Konfliktlösung.
Schwierig wird es, wenn man den Sprachraum wechselt. Ich stamme aus einer Region Deutschlands, in der astreines Hochdeutsch gesprochen wird. Dann zogen wir in den Aargau, in die Nähe von Zofingen. Dort sprechen sie zwar auch, Deutsch scheint es aber nicht zu sein. Der Erwerb von Grundnahrungsmitteln gestaltete sich diffizil. Wenn ich beim Metzger den Mund aufmachte, fielen die Verkäuferinnen in Schockstarre: «Jetzt sagt er die Ringparabel auf.» – Dass Nathan der Weise lediglich Cervelats kaufen wollte, ging bei solchen Darbietungen völlig unter.
Mit der Zeit gewöhnten sich die Leute an unsere gravierenden Sprachdefizite, taten so, als bemerkten sie sie nicht, und dachten: «Die lernen es wohl nie!»