Verehrtes Publikum
Von jeher haben mich Spekulationen darüber fasziniert, ob es wohl möglich sein könnte, Zeitreisen zu unternehmen. Ist der gewohnte Ablauf der Zeit von der Vergangenheit über das Heute in die Zukunft irreversibel, oder könnten wir diese Fesseln abwerfen wie Harry Houdini seine Ketten?
H.G. Wells’ «Time Machine» habe ich mehrfach verschlungen, Risse im Einstein’schen Raum-Zeit-Kontinuum waren meine versteckten Attraktoren, mit Warp-Geschwindigkeit bin ich durch Wurmlöcher Richtung Andromedanebel gerast, dem Ursprung der Zeit entgegen. Jahre meines Lebens hätte ich gern für eine Zeitmaschine hingegeben, die mich in die Kreidezeit transportiert hätte, um zu erleben, wie die Erde bebt, wenn ein Tyrannosaurus Rex zur Attacke übergeht, sein mörderisches Brüllen alle Kreatur auf die Knie zwingt und sein pestilenzartiger Odem dem Opfer die Sinne raubt.
Geradezu unwiderstehlich ist der Gedanke, die Vergangenheit zu verändern. Stellen Sie sich vor, via Zeitreise könnten Sie verhindern, dass sich Ihre Eltern kennengelernt hätten. Sie sollten nicht erwägen, ob dies wünschenswert, sondern ob dies möglich wäre. Ihre Eltern wären sich nie begegnet, weil Sie dies hintertrieben hätten. Logischerweise wären Sie auch nicht zur Welt gekommen. Aber wie hätten Sie, die/den es nicht gibt, etwas verhindern können, auf das Sie keinen Einfluss hätten, weil… (s.o.)?
Ich stamme aus einer alten norddeutschen Stadt am Fusse eines uralten Gebirges, in der seit 800 Jahren einmal jährlich ein Volksfest stattfindet. Am Eingang des Festplatzes steht eine prächtige, bunt bemalte Jahrmarktorgel. Das Kommando über das Instrument hat ein zackiger mechanischer Dirigent, der nicht müde wird, seinen Musikern den Takt einzuhämmern. In Wirklichkeit aber, und das weiss nur ich, ist dieses Orchestrion überhaupt kein Orchestrion – es ist das Tor zur Vergangenheit: Ich nicke dem Maestro zu, er gibt seinem Orchester den Einsatz…, und nach 5 Sekunden finde ich mich in der Glückseligkeit der Kindheit wieder; vom Leben gänzlich unversehrt.