Verehrtes Publikum
«Man kann Autos nicht wie menschliche Lebewesen behandeln, Autos brauchen Liebe!», sagt Walter Röhrl, Monument des Rallyesports. Ähnlich dachte wohl auch mein Vater Otto, der die unausgesprochene Überzeugung vertrat, dass Erziehung hauptsächlich die Vorzüge des Autofahrens zu vermitteln habe – ‹der Rest› komme dann schon irgendwie von selbst.
Eine Passage aus meinem Epos ‹Brennender Asphalt› zeigt, wie auch ich in jungen Jahren dem Rausch der Geschwindigkeit verfiel: «Damals sprangen Autos nicht einfach an, sie mussten gefühlvoll gestartet werden. Otto drehte den Schlüssel im Zündschloss. Nach wenigen Sekunden erschien ein Glühwürmchen hinter den Löchern einer Blechscheibe – heller und heller leuchtete es im Armaturenbrett: ‹Start your engine!› Der Motor schüttelte sich eher unwillig, blies schwarze Abgaswolken in die Luft und nahm mit stählernem Nageln seine Arbeit auf. Und als wir dann friedlich in Richtung Autobahn davonfuhren, geschah ein unglaubliches Wunder – der kreuzbrave Kraftfahrer Otto P. verwandelte sich völlig unerwartet in den von seinen Gegnern gefürchteten Silberpfeilpiloten Rudolf ‹Karratsch› Caracciola, der von 1930 bis 1940 mit seinen gewaltigen Mercedes-Kompressor-Rennwagen alles in Grund und Boden fuhr, was ihm Paroli zu bieten wagte.
Wir erreichten die legendäre Rundstrecke von Le Mans. ‹Karratsch› packte das Lenkrad wie Thor seinen Hammer, energisch trat er das Gaspedal bis zum Bodenbrett durch und wechselte die Gänge mit einer Geschwindigkeit, dass das Auge dem kaum zu folgen vermochte. Otto Caracciola, Sieger unzähliger Rennschlachten von Tripolis bis zur Nordschleife des Nürburgrings, zwang den Boliden unerbittlich auf die Ideallinie. Jedes Mal, wenn das Heck des Wagens auszubrechen drohte, parierte er mit blitzschnellem Gegenlenken, während sich der Motor akustisch ins Zeug legte, als gelte es, die Posaunen des Jüngsten Gerichts niederzubrüllen.
Vor dem brachialen Anbremsen der ‹Mulsanne›-Kurve am Ende der langen Geraden von ‹Les Hunaudières› stand die Nadel des Drehzahlmessers zitternd im roten Bereich. Mir gefror das Blut in den Adern – hundert, wir fuhren hundert!»
Es war das Zeitalter der Gladiatoren der Landstrasse.