Verehrtes Publikum
Der vor einem Monat erschienene zweite Teil unseres autobiographischen Dreiteilers (Titel: s.o.) endete mit dem Hinweis, dass etwas geschehen würde, was alles verändern sollte. Dies bezog sich auf die Reality-TV-Sendung «Schreiben müsste man können» vom Februar, deren Thema die «Lehr- und Wanderjahre eines Schweizer Schriftstellers» waren; dazu hatte man mich eingeladen.
Eröffnet wurde die Sendung von der Moderatorin Kunigunde von Jena und Auerstedt mit der Vorstellung der hochkarätigen Expertenrunde.
Kunigunde von Jena und Auerstedt: «Links von mir begrüsse ich Giesbrecht Müller-Bogenschütz.» (Müller-Bogenschütz blättert gelangweilt in einem Stapel loser Blätter, würdigt die Moderatorin keines Blickes.) «Herr Müller-Bogenschuss… («-schütz», knurrt der Angesprochene) – Herr Schütz ist Grosskritiker beim Hamburger SPIEGEL und…»
Müller-Bogenschütz: «Wieso ‹Hamburger› SPIEGEL? Gibt’s woanders noch einen?» (Kichernd sieht er sich im Kreis der Anwesenden um, findet aber keinerlei Beachtung.)
Kunigunde von Jena und Auerstedt: «Neben Dr. Bogenmüller begrüsse ich Frau Bauerochse, der es wie keiner anderen Poetin gelingt, die Saiten unserer Seele wie die einer Windharfe in zarte Schwingungen zu versetzen. Ihr neuester, kürzlich im Eigenverlag erschienener Lyrikband «Unstete Fahrt», in dem sie Verborgenes nach Art eines Patchworks in magische Neuzusammenhänge stellt, untermauert ihr Anliegen, dem durch die Moderne unbehausten Menschen Heimat zu geben. Liest Du uns etwas, Mechthild?
Mechthild Bauerochse: «Hoch auf dem gelben Wagen sitz’ ich beim Pfaffen vorn…»
Kunigunde von Jena und Auerstedt: «Wow, ein echter Kracher! – Wenn von Schweizer Literatur die Rede ist, kommen unvermeidlich Monumente wie Jeremias Gotthelf, Gottfried Keller, Friedrich Dürrenmatt & Co. aufs Tapet, dabei gibt es…»
- Mit dumpfem «ploff» platzt ein Scheinwerfer.
Müller-Bogenschütz: «Scheisse war’s, der Mond schien helle.»
- Ägyptische Finsternis senkt sich über das Studio, das Publikum ergreift panikartig die Flucht.