Management Summary: Der Verfasser[1] dieses Essays lebte einige Jahrzehnte in Deutschland, seit 1989 in der Schweiz, ist bekennender PORSCHE-Fan und schlägt einen Paradigmenwechsel vor: Statt immer mal wieder mehr oder weniger fundiert über evtl. Geschwindigkeitsbeschränkungen auf deutschen Autobahnen und/oder zukünftiges autonomes Fahren zu palavern, schlägt er vor, sich mit der Rolle des heutigen autonomen Fahrers[2] zu beschäftigen. Und welche Art von Autos seiner Ansicht nach die Autonomie verleihen, einen Fahrstil an den Tag zu legen, der nicht vorbehaltlos zur Nachahmung empfohlen wird, sich in riskanten Situationen allerdings als lebensverlängernd erweisen kann.
Let’s talk about PORSCHE. Meine ersten Erfahrungen mit der schwäbischen Sportwagenmarke machte ich Mitte der 1960er-Jahre, als mein Onkel Günther, ein erfolgreicher Rechtsanwalt und Notar, eines Tages mit einem niedrigen roten Auto auf den Hof unseres elterlichen Grundstücks gebraust kam. Nachdem sich die Erwachsenen bei Kaffee und Kuchen gemütlich im Wohnzimmer niedergelassen hatten, umkreiste ich den sich mit unüberhörbarem Knistern und Knacken abkühlenden 356er-PORSCHE. Dass es ein solcher war, hatte ich der Aufschrift auf der Motorklappe des mir ausgesprochen schnittig vorkommenden Flitzers entnommen. Die Zahlen auf Tacho und Drehzahlmesser beeindruckten mich tief.
Wer PORSCHE fahren will, muss artig sein
Von diesem Ereignis ist mir ausserdem noch in Erinnerung geblieben, dass mein Herr Onkel gönnerhaft zu mir sagte: «Wenn Du schön artig bist, mein Junge, darfst Du mal bei mir mitfahren.» Dann zog er sich lässig seine Herrenfahrerhandschuhe an, schwang sich wie Alberto Ascari in den Fahrersitz, zündete das Triebwerk und bretterte auch für die Nachbarschaft unüberhörbar von unserem Hof. Hätte mein Onkel kein Coupé, sondern einen Roadster gehabt, einen formvollendeten Le-Mans-Start hätte ich dem schneidigen Herrn Rechtsanwalt und Notar damals durchaus zugetraut: «Gentlemen, start your engines!» Mein Vater murmelte ihm noch halb bewundernd, halb erschrocken nach: «Mein Gott, Günther spielt mit seinem Leben!» – Hat er aber nicht, der Onkel, er war nämlich kein Hasardeur. Und steinalt ist er auch geworden: an die 93 Jahre. Trotz PORSCHE…
Wenn man nicht alles selbst macht…
Der rote 356er meines Onkels blieb mir in Erinnerung. Da der Herr Notar leider völlig vergass, sein mir damals leichtfertig gegebenes Versprechen bezüglich einer Mitfahrgelegenheit in seinem flotten Sportcoupé einzulösen (ich hoffe nicht, dass alle Rechtsanwälte…), erschien es mir wieder einmal offensichtlich, dass man im Leben die Dinge schon selbst in Angriff nehmen muss, will man sie verändern. Also fasste ich mir eines schönen Tages ein Herz und rief bei PORSCHE in Schinznach-Bad an. Dieses Telefongespräch wurde das mit Abstand kostspieligste meines Lebens, denn es führte dazu, dass schliesslich ein speedgelbes Gokart namens Boxster S in unserer Tiefgarage stand; dieses wieselflinke Gefährt verfügte über ein nicht zu unterschätzendes Suchtpotential. Danach kamen noch mehr Boxster. Und einige PORSCHE-Fahrtrainings. Und dann ein weisser Carrera.
Alle Mann auf Gefechtsstation!
Mit dieser perfekt alltagstauglichen Primaballerina cruiste ich einmal in Richtung Frankfurt am Main mit ca. 160 km/h dort entlang, wo ein Carrera hingehört, nämlich auf der Überholspur der Autobahn. Da scherte, ohne jede Vorwarnung und ohne den Blinker zu setzen, ein LKW mit litauischem Kennzeichen direkt vor mir auf meine Seite aus, weil er meinte, er müsste einen ca. 0,8 km/h langsameren LKW-Kollegen ohne unziemliche Hast überholen und einem PORSCHE schräg links hinter ihm mal kurz und trocken demonstrieren, wer King of the Road ist. Zu meinem Bedauern war dies ausgerechnet mein Carrera! Meine CPU, auch Grosshirn genannt, reaktivierte in Echtzeit das in Hockenheim Gelernte und switchte auf die Trainingseinheit «Umfahren eines Hindernisses unter Vollbremsung mit anschliessendem Beschleunigen und zügiger Weiterfahrt».
In die Gasse spurten
Auf dem Hockenheimring hatte bei solchen Fahrmanövern das grösste Risiko darin bestanden, einige rot-weisse Gummihüte mit Geratter umzunieten oder im Kiesbett zu landen, wohingegen in dieser grenzwertigen Situation… – Tun Sie was, PETERS!!! Voll in die Eisen, die sich dank Bremsenvorbefüllung nicht lange mit der Vorrede aufhalten, sondern verzögern, dass mein Sicherheitsgurt hörbar einrastet – LKW kommt, kommt, kommt: Das reicht nie im Leben!! Bremse frei, Blick fixieren auf Einflugschneise zwischen den LKWs (zum Abklappen der Aussenspiegel reichte die Zeit nicht mehr…), Lenkung hart rechts, in die Gasse zwischen beide LKW carven, Lenkung hart links, mit Schleppgas durchs Nadelöhr, die Führerhäuser betrachte ich als Ende der Boxengasse. Mein PDK kann Gedanken lesen und stimmt mir völlig zu, dass wir subito Sport plus brauchen, um uns beschleunigt aus der Schlagdistanz der Brummis zu entfernen: Hasta la vista, babies! Das Getriebe demonstriert mir in dieser harten Sprintsequenz locker und ohne sich anstrengen zu müssen, dass es mir bei der Geschwindigkeit von Gangwechseln haushoch überlegen ist. Es schaufelt mir genau dann sattes Drehmoment auf die Hinterachse, wenn ich aus meiner Feuerleitzentrale vollen Vortrieb anfordere; das entfesselt den Flat Six hinter mir, und er legt sich dabei akustisch dermassen ins Zeug, dass man meinen könnte, die Trompeten von Jericho bliesen zur Attacke.
Und die Moral von der Geschicht’?
Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich diese Wild-West-Aktion auf der Autobahn mit der Coolness eines Walter Röhrl bei der legendären Rallye Monte Carlo durchgestanden hätte; das wäre glatt gelogen. Mit leicht instabilen Knien und Puls 180 gingen mir auf dem nächsten Parkplatz mehrere Dinge durch den Kopf:
- Wo wäre ich wohl jetzt, hätte ich nicht dieses aussergewöhnliche Beschleunigungs- und Bremsvermögen, das verzögerungsfreie Ansprechverhalten und die unerschütterliche Spurtreue meines PORSCHE zur Verfügung gehabt?
- Wie hätte denn wohl ein 08/15-Auto reagiert, dass gemäss seinem Lastenheft den Anforderungen bis max. 120 km/h zu «genügen» gehabt hätte? Selbst wenn dieser gerade beschriebene Alptraum bei 120 abgelaufen wäre, wie hätte sich denn solch ein Auto bei meinen erzwungenen Brachialmanövern verhalten?
- Und ein autonomes Auto? Hätte es blitzschnell analysiert, welcher der beiden Lastwagen ihm billiger erschienen wäre und sich dann zwischen Pest oder Cholera entschieden – Auffahrunfall vs. Side Crash? Auf die Idee, «einfach» in der Mitte durchzufahren, wäre es wahrscheinlich gar nicht erst gekommen, weil es die hohle Gasse als für einen 911er ungeeignet klassifiziert hätte und evtl. gar nicht auf «Fahren mit dem Messer zwischen den Zähnen» programmiert gewesen wäre.
Bei der beschriebenen Rodeo-Einlage auf der Autobahn habe ich nachhaltig erfahren, was es wirklich heisst, wenn man die Merkmale eines PORSCHE kurz und prägnant mit It’s a driver’s car charakterisiert. Und wenn ich mich auf Deutschlands Highways gelegentlich jenseits der 200-km/h-Marke bewege, dann sagt mir mein PORSCHE besänftigend: «Kein Grund zur Beunruhigung, mein Lieber, ich machʼ so was schliesslich nicht zum ersten Mal.»
[1] Jan Peters war lange Jahre als Übersetzer, Redakteur und PR-Verantwortlicher in der Medizinaltechnik tätig. Seine Passion sind Schriftstellerei und Satire. Er lebt in Kaiseraugst/AG. Seiner Boxencrew im PORSCHE Service Center Schinznach-Bad, auf die er nichts kommen lässt, fühlt er sich seit 2005 vertrauensvoll verbunden. AKTUALISIERUNG: PORSCHE in Schinznach-Bad ist seit 2021 Geschichte. Alle Aktivitäten sind ins PORSCHE-Zentrum Zürich verlagert worden. In Schinznach bleiben nur noch Erinnerungen. Bärenstarke Erinnerungen allerdings.
[2] Dies ist natürlich zu 100 % genderkonform gemeint.