Verehrtes Publikum
Sagt Ihnen der Name Turnvater Jahn etwas? Er hiess natürlich nicht «Turnvater» mit Vornamen, sondern Ludwig. In Deutschland ist er allgemein bekannt als der Schöpfer der Leibesertüchtigung. Sein Motto «Frisch! Fromm! Fröhlich! Frei!» prangt an vielen deutschen Turnhallen. Im Laufe meines Lebens wurde es öfter für nötig erachtet, mich mit staatlich verordneten Freiübungen à la Turnvater Jahn zu belästigen.
Am Gymnasium hatten wir einen veritablen Olympiasieger als Sportlehrer, gegen den Wilhelm Buschs Turner Hoppenstedt ein Warmduscher war. Unser Vorturner war beim GröFaZ Major der Luftwaffe und Ritterkreuzträger gewesen. Daraus folgte für seinen paramilitärischen Sportunterricht, dass dessen Leitmotiv eher im preussischen Exerzierreglement als in Jahnscher Fröhlichkeit wurzelte. Unser Riegenführer war aus alter Gewohnheit der Meinung, dass deutsche Jungen zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie Windhunde sein müssten.
Beim Militär machte man mich mit weiteren Varianten deutscher Leibesübungen in Form von 60-km-Gewaltmärschen, Hindernisbahn-Parforcejagden und nächtlichen Alarmübungen bekannt. Wenn wir brav waren, durften wir manchmal Fussball spielen. Unser schneidiger Leutnant gab die Parole aus, dass Panzergrenadiere nach anderen Regeln spielen als verweichlichte Zivilisten; es gelte die Reihenfolge «ERST der Mann, DANN der Ball!».
Einer meiner Kameraden war Verteidiger beim FC St. Pauli – sie nannten ihn «die Dampframme von Altona»… Nach dem Anpfiff raste der Leutnant los, als wollte er Stalingrad im Alleingang zurückerobern. Mein Kumpel flüsterte mir zu: «Achte mal auf den Leutnant.» Dann liess er den kühnen Frontkämpfer über die Klinge springen. Dieser vollführte einen Salto mortale und landete krachend auf dem Hartplatz.
Ich eilte zur Unfallstelle, um meinem Mitgefühl Ausdruck zu verleihen: «Haben Sie sich weh getan, Herr Leutnant?» Der zischte wie eine Kobra: «Das zahle ich euch heim, Sportsfreunde!»
Manchen Vorgesetzten kann man aber auch gar nichts recht machen.